von Sieglinde Breitschwerdt
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Ein Pyjama für Zwei |
Erschöpft sank Claudia auf die Couch, sah sich zufrieden um und nickte anerkennend. „Braves Mädchen! Das hast du fein gemacht – und ganz ohne Mann!“, denn momentan war sie auf Männer nicht besonders gut zu sprechen. Die Möbel standen schon an Ort und Stelle, alle Lampen waren angeschlossen und Theos Katzenklo hatte auch schon seinen festen Platz. Sie sehnte sich nach einem entspannenden Bad, einem Gläschen Rotwein und anschließend würde sie sich um ihren Kater kümmern, der leicht verstört durch die Wohnung tapste. Claudia sah zur Uhr. Der Waschgang müsste gleich durch sein. Sie fand es großartig, dass im Keller des Appartementhauses ein riesiger Raum mit Waschmaschinen, Trockner und sogar einer Mangel den Mietern zur Verfügung stand. Eine Chipkarte setzte die Geräte in Betrieb und buchte gleichzeitig den Strom auf ihren Zähler. Müde stieß sie einen wohligen Seufzer aus.Nur noch die Frotteehandtücher in den Trockner werfen – und dann, dann war Feierabend für heute. „Darf ich mit?“ Mark grinste und gab seiner Nichte einen Nasenstüber. „Na Klar, du musst mir doch helfen!“ Julia, süße fünf Jahre, strahlte! Einträchtig fuhren Onkel und Nichte mit dem Aufzug in den Keller.Hoch konzentriert, ihre Zähnchen auf die Unterlippe gepresst, faltete die Kleine eifrig Geschirrtücher zusammen. Claudia betrat den riesigen Raum. Amüsiert blieb sie stehen und beobachtete den Mann und die Kleine, wie sie scherzend und lachend gemeinsam an einem großen Bettlaken zogen. In diesem Moment blickte Mark in ihre Richtung und grinste leicht verlegen. Ihr Herz begann rascher zu schlagen. Was für ein Mann, schoss es ihr durch den Kopf, Lausbubenblick, sympathisches Gesicht und widerspenstige braune Haare, die bestimmt jeder Bürste trotzten. Unwillkürlich lächelte sie zurück. „Du bist aber schmutzig!“, stellte Julia fest und musterte sie von oben bis unten. „Stimmt!“, sagte Claudia und öffnete ihre Waschmaschine. Suchend sah sie sich um, dabei vermied sie, in seine Richtung zu sehen. Kaum erregte ein Mann mehr als nur gewöhnliches Interesse bei ihr, war er garantiert vergeben oder hatte so einen Beziehungssalat hinter sich, dass er für alle zukünftigen Partnerschaften total versaut war – so wie Paul. Ihr Ex! „Wenn Sie wollen, können Sie gleich unseren nehmen!“ Eine tolle Stimme hatte er auch noch – ganz dunkel mit einem rauen Timbre. „Danke“, stammelte Claudia und spürte, wie sie rot wurde. Mark verbeugte sich grinsend und zeigte auf den leeren Trockner. „Wir müssen los!“, drängelte auf einmal Julia. „Die Teletubbies fangen gleich an!“ Bedauernd zuckte er mit den Schultern und verdrehte im gespielten Ernst die Augen. „Also dann, bis zum nächsten Wäschewaschentreffen!“, rief er ihr zu. Schade, dachte Claudia, er sieht nicht nur gut aus, er kann auch mit Kindern gut umgehen – ach, er ist ja so ganz anders als Paul! Dabei hatte alles so schön angefangen. Die chromblitzende Kellertür warf Claudias Spiegelbild zurück. Ihre Jeans war mit Farbe bekleckert und ihr Pullover am Bund ausgedrieselt. Was soll’s! Er hat ‚ne Frau und eine süße Tochter! Claudia, schlag ihn dir aus dem Kopf!
„Die ist aber nett, gell?“, erkundigte sich Julia spitzbübisch. „Wer denn?“ „Na, die schmutzige Frau im Keller!“ „Mm“,
gab Mark nur von sich und lächelte verträumt. Was für eine hübsche
Frau. Blonde Haare
und braune Augen! Wie sah sie wohl aus, wenn sie schick angezogen
war? Bestimmt hinreißend!
„Was hältst du davon, wenn wir eine riesige Pizza essen, bevor ich dich nach Hause fahre?“, lenkte Mark das Thema geschickt in die andere Richtung. „O ja!“, freute sich die Kleine.
„Nein, Theo, du bleibst da!“ Um ein Haar wäre der Kater durch die Tür entwischt. Gerade noch konnte ihn Claudia im Genick festhalten. Diese Freiheitsberaubung beantwortete Theo mit einem bösen Fauchen. „Bald wirst du dich wie zu Hause fühlen!“, versuchte sie das verwirrte Tier zu trösten. Von Claudias Versprechen war Theo nicht überzeugt, aber ihr sanftes Kraulen unterm Kinn ließ bald seinen Widerstand schmelzen. Sie stellte den Wäschekorb ins Schlafzimmer.Missmutig runzelte sie die Stirn. Wo hatte sie ihren Bademantel und ihre heiß geliebten, verrückten Pyjamas? Nervös suchte sie den ganzen Schrank durch, doch kein einziger tauchte auf. Alle Karton waren schon ausgepackt. Seufzend entschied sie sich für ein langes T-Shirt das sie vor Jahren auf einer Faschings-fete getragen hatte. Claudia nahm ein entspannendes Bad, bändigte ihr Haar mit einem Pferdeschwanz und cremte ihr Gesicht dick ein. Auf dem Weg zum Wohnzimmer sah sie die rote Schlüsselkarte auf der Kommode liegen. Zu dumm! Sie hatte vergessen, sie dem Hausmeister zu geben. Claudia warf einen Blick zur Uhr! Fast elf! Rasch zog sie die Strickjacke über und stieg in Pantoffeln. Vorsichtig öffnete sie die Tür, linste nach rechts und links. Niemand war zu sehen! Sie nahm die Karte, eilte die Treppe hinunter und teckte sie in den Briefkasten des Hausmeisters. Als sie sich umdrehte, bekam sie fast einen Herzanfall. Der Mann aus dem Keller stand direkt vor ihr. Wie peinlich! Am späten Nachmittag hatte er sie in schmutzigen Jeans gesehen und jetzt im Tigerentenshirt, einer alten Strickjacke und kuscheligen Pantoffeln mit einem Mäusegesicht. Verlegen fuhr sie sich durchs Haar. Vor Entsetzen blieb ihr fast die Luft weg. Auch das noch! Die Cremepackung hatte sie völlig vergessen. Wie von Furien gehetzt stürmte sie an ihm vorbei und raste die Treppe neben dem Lift hoch. Ihr Atem rasselte, als sie die Tür hinter sich zuschlug. „Das war mal wieder typisch!“, schimpfte sie laut vor sich hin. „Hoffentlich kriegt er nie heraus, in welchem Appartement ich wohne!“ Die wohlige Müdigkeit war wie weggeblasen! Durch ihre Gedanken schaukelte ein sympathisches Männergesicht mit einem spitzbübischen Grinsen und widerspenstigen braunen Haaren. Um sich abzulenken, holte die den Wäsche-korb aus dem Schlafzimmer und legte die Wäsche zusammen. Was war denn das? Eine amerikanische Flagge? Aber es war ein Männerpyjama mit kurzen schwarzen Hosen! Sie konnte sich nicht entsinnen, dieses Ding jemals an Paul gesehen zu haben. Wo war er also her? Auf einmal kroch es die Gewissheit heiß in ihr hoch. Der Pyjama gehörte ihm! Er musste ihn im Trockner vergessen haben. Andächtig faltete sie ihn zusammen. Sie war ein absoluter Pyjamafan. Herrenpyjamas liebte sie ganz besonders, weil sie so bequem waren.
Schwer bepackt, kam Claudia vom Gartencenter zurück. Ungeduldig wartete sie auf den Lift. Mark schlenderte lächelnd auf sie zu. Gequält schloss sie die Augen. Die Schamröte stieg in ihr Gesicht, als ihr das fast mitternächtliche Intermezzo am Briefkasten einfiel. Bewundernd musterte er sie, und das was er sah, gefiel ihm außerordentlich. „Guten Tag!“, sprach er sie an. „Wir sind uns schon ein paar Mal begegnet! Ich bin Mark Heller!“ „Claudia!.... Claudia Wenk!“, erwiderte sie leise. Dann kam er Aufzug, zum Glück stiegen noch weitere Leute ein. Auch das noch! Er wohnte also auch im ersten Stock! Sie war so nervös, dass ihr der Schlüsselbund herunterfiel. Lächelnd hob ihn Mark auf, reichte ihn ihr, dabei berührten sich ihre Hände für den Bruchteil einer Sekunde. Was für eine bezaubernde Frau, sinnierte er, und sehr differenziert – zumindest, was ihr Outfit betrifft.
Den Rest des Tages verbrachte Claudia mit kleinen Verschönerungsarbeiten. Anschließend badete sie ausgiebig und genoss diese Entspannung. Als sie den Kleiderschrank öffnete, stach ihr der fremde Pyjama buchstäblich ins Auge. Vorhin wäre die beste Gelegenheit dazu gewesen, Mark Heller darauf anzusprechen, doch die hatte sie verpasst. Sollte sie ihn bei ihm abgeben? Aber was würde seine Frau dazu sagen? Auf einmal verspürte sie den Wunsch, ihn einfach mal anzuziehen – und das tat sie auch. Claudia kicherte, als sie sich im Spiegel betrachtete und beschloss von einer Sekunde zur anderen, ihn zu behalten – vorerst. Gutgelaunt griff sie zum Telefonbuch und bestellte eine Thunfischpizza – die mochte auch Theo.
„Ach, wenn ich dich nicht...“ „Dann könntest du keine Kurse belegen und würdest dumm bleiben!“, wehrte Mark lachend den Dank seiner Schwester Mona ab. „Guckt mal, da hat sich einer ‚ne Pizza bestellt!“, krähte Julia und zeigte auf den jungen Mann, der geduldig vor Claudias Tür wartete. In Marks Magengrube breitete sich ein süßes Ziehen aus. Mona war sein veränderter Gesichtsausdruck nicht entgangen. Neugierig folgte sie dem Blick ihres Bruders. Die Tür öffnete sich. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen! „Guck mal, Onkel Mark, da ist der Pyjama, den du gestern gesucht hast!“ Claudia wurde vor Entsetzen leichenblass. Sie biss sich auf die Lippen, um nicht hysterisch loszuschreien. O mein Gott! Das war die Strafe dafür, dass sie sich seinen Pyjama unter den Nagel gerissen hatte! Vertuschen konnte sie es auch nicht! Das Corpus delicti trug sie am Leib. „8 Euro zwanzig!“, vernahm sie wie durch Watte die Stimme des Pizzaboys. Mark ging näher und in seinen Augen blitzte der Schalk. Wie selbstverständlich nahm er ihr den Zehneuroschein aus der Hand und steckte ihn dem Boy in die Brusttasche. „Onkel Mark, hast du ihr den Pyjama geschenkt oder hat sie ihn dir gemopst?“, krähte Julia. Mit einem Blick erkannte Mona die Situation. „Wir müssen los! Onkel Mark hat jetzt keine Zeit!“, sagte sie, nahm Julia an die Hand und strebte mit ihr zum Aufzug. Er ist der Onkel, jubelte es in Claudia. Vergiss es, versuchte sie sich selbst zur Vernunft zu bringen, das wird nix! Der hält dich für eine Pyjamadiebin. Mühsam rang sie um ihre Fassung. „Ich... ich hab‘ ihn gefunden!“, stammelte sie und blickte verlegen zu Boden. „Ich hab ihn gesucht!“, erwiderte er grinsend – und setzte noch eines drauf: „Stundenlang!“ „Ich konnte einfach nicht widerstehen!“, gab Claudia kleinlaut zu. „Pyjamafan?“ Sie nickte „Ich auch!“, bekannte er. „Aber dir steht er dir viel besser als mir!“ Das Du kam wie selbstverständlich über seine Lippen. Verlegen zupfte sie an dem viel zu großen Oberteil herum. Mark strich ihr eine vorwitzige Locke aus ihrer Stirn und murmelte leise: „Machen wir einen Deal: Ich bekomme ich Stück Pizza ab und du darfst dafür meinen Pyjama behalten!“ Verstört blickte sie zu ihm hoch. In seinen Augen nistete der Schalk. Sie räusperte sich, dennoch klang ihre Stimme ganz rau als sie sagte: „Komm doch rein!“
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*texte + designs.html - sieglinde breitschwerdt - die gifs wurden freundlicherweise zur Verfügung gestellt. |